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Erfahrungsberichte ehemaliger Freiwilliger



Freiwilligendienst...wer dient wem? von Marcel

Marcel war von Frühjahr bis Sommer 2011 sowie im Frühjahr 2013 als Freiwilliger für C4H im Community Center in Okorase und in Adawso tätig. In seinem Bericht beschreibt er seine Gedanken zum Thema "Freiwilligendienst".



Während ich am Flughafen auf den Abflug nach Ghana wartete, schrieb ich die ersten paar Zeilen in mein "Ghana-Tagebuch". Über meine Erwartungen an die Zeit dort, und an die Zeit danach. Vor der Reise hatte ich mich zwar über die wichtigsten ghanaischen Gesellschaftsregeln informiert, das Lesen von Erfahrungsberichten versuchte ich jedoch zu vermeiden, um mir eine möglichst eigenständige Sicht auf die Dinge zu ermöglichen.




Zwei für mich persönlich wichtige Erkenntnisse nach meinen ersten beiden Aufenthalten in Ghana waren: (1) Es hat sich gelohnt, "alleine" gegangen zu sein. Das heißt, nicht im Rahmen einer Freiwilligendienst-Gruppe gegangen zu sein. (2) Freiwilligendienst ist keine direkte Hilfe von "Freiwilligen" an "Hilfesuchende". Was ich damit meine, wird hoffentlich auch im Verlauf des Textes etwas klarer. Ich bin mir bewusst, dass sich gerade bei der Diskussion über den Sinn von Freiwilligendienst die Geister scheiden. Das liegt vermutlich auch daran, das jede/r unter Freiwilligendienst etwas anderes versteht und das jede/r einem "Freiwilligen" andere Motive für das Leisten von Freiwilligendienst "unterstellt".


Zunächst möchte ich von meiner ersten Erkenntnis schreiben. Warum hat es sich für mich gelohnt, "alleine" zu gehen? Nun, ich hatte das Gefühl, durch das Alleinegehen mehr Möglichkeiten zu haben, sowohl in dem, was ich tun wollte, als auch in dem, was mit mir passieren konnte. Ist man in einer Gruppe unterwegs, läuft es oft auf Kompromisse hinaus: "Wo wollen wir heute hin?", "Was wollen wir heute machen?", "Wann wollen wir heute zurück in die Unterkunft?". Ein Grund für mich, nach Ghana zu gehen, war die Möglichkeit des Kennenlernens einer "anderen Welt". Ich glaube, es gelingt eher, diese "andere Welt" zu akzeptieren, wenn man gleichzeitig auf möglichst viel der "eigenen Welt" verzichtet. Ich kann jedoch auch verstehen, wenn man dies anders sieht. Alleinegehen bedeutet schließlich auch Verzicht auf Sicherheit. Auch möchte ich die Entscheidung, nicht alleine zu gehen nicht abwerten. Ich möchte vielmehr darauf hinweisen, dass das Alleinegehen zu einer anderen Art von Erfahrung führen kann.


Das Alleinegehen gab mir die Möglichkeit, in das Leben vor Ort einzutauchen. Wenn ich ohne Ziel durch die Stadt ging, war es meine Entscheidung, wohin die Reise ging. Ich bin mir ziemlich sicher, dass viele Begegnungen, Bekanntschaften, Erlebnisse und Erkenntnisse nicht stattgefunden hätten, wäre ich in Begleitung gewesen. Man nimmt sich mehr Zeit für persönlich als angenehm empfundene Momente. Begegnungen werden persönlicher. Ich erinnere mich an April 2011, als ich morgens zu den Boti Falls aufbrach, dort stundenlang durch die Wälder spazierte und bis abends an den Wasserfällen saß. Eine erheiternde Begegnung mit zwei Ghanaern auf Urlaubsreise dort führte zu mehreren Reisen in deren Heimatdorf, Monate (und Jahre) später.


Nun möchte ich von meiner zweiten Erkenntnis schreiben. Was bedeutet für mich "Freiwilligendienst"? Zunächst einmal finde ich diesen Begriff etwas irreführend. Das Wort "Dienst" suggeriert mir, dass man jemand anderem eine Leistung erbringt, und das auch noch "freiwillig". Auch wenn ich durchaus glaube, dass der Punkt der "Leistungserbringung" in bestimmten Freiwilligendienst-Konstellationen gerechtfertigt ist, sehe ich das für den "typischen" Freiwilligendienst, z.B. in einer ghanaischen Schule, nicht so. Dadurch, dass man sich als Europäer/in in ein ghanaisches Klassenzimmer stellt, macht man den Unterricht wahrscheinlich nicht effektiver (was "direkte Hilfe" wäre). Ich glaube, ein solcher Freiwilligendienst kann auf eine ganz andere Weise positiv wirken.


Ich habe in meinen Ghana-Aufenthalten gelernt, den Freiwilligendienst nicht als Dienstleistung zu sehen, sondern als meinen eigenverantwortlichen Beitrag zur Völkerverständigung. So denke ich, dass man als Freiwilliger eigentlich viel mehr von denjenigen lernen kann, denen man eigentlich einen Dienst erweisen möchte, als umgekehrt. Wenn mich also ein Kind im Community Center Okorase fragt, warum ich hier bin, dann sage ich, dass ich die Welt besser verstehen möchte, weil ich viel zu wenig von ihr weiß. So sollte man selbst einmal zwei Stunden Fußweg bei 33°C vom Dorf zur Schule gegangen sein. So sollte man selbst einmal versucht haben, mit den öffentlichen Transportmitteln dort pünktlich von Punkt A nach Punkt B zu kommen. So sollte man sich nach der Rückkehr nach Deutschland selbst einmal fragen, wie der Aufenthalt in Ghana eigentlich die eigenen Gedanken und Gefühle in Bezug auf das Wort "Afrika" verändert hat. Oder auf das Wort "Europa". So kann eine Art indirekter Effekt von Freiwilligendienst entstehen. Man wird möglicherweise sensibler für Sichtweisen, Bedürfnisse und Probleme Anderer. Man wird sich möglicherweise bewusster, dass man in dieser Welt aufeinander acht geben muss. Und man kann seine Erfahrungen nutzen, um Vorurteile abzubauen anstatt zu festigen.


Wie baue ich nun eine Brücke von meiner Einstellung zum Begriff "Freiwilligendienst" zu dem Engagement für einen Förderverein? Zunächst einmal denke ich, dass so ein Förderverein ebenfalls einen Beitrag zur Völkerverständigung leisten kann. So lerne ich bei der Arbeit mit unserem ghanaischen Projektpartner "C4H" immer wieder, die Welt nicht nur durch die "europäische Brille" zu sehen. Gleichzeitig lernen beide Seiten, wie wichtig klare Absprachen und Vertrauen sind. Zudem stellt der Förderverein für mich die Möglichkeit dar, mit einem anderen Land in Kontakt zu bleiben und so langsam aber stetig die ohne Zweifel existierenden Vorurteile abzubauen, auch bei mir selbst. Die Tatsache, dass wir keine Sachspenden nach Ghana liefern, trägt meines Erachtens ebenfalls zum Abbau dieser Vorurteile bei. Anstatt Kleiderspenden zu schicken, wollen wir lieber Eigenverantwortlichkeit unterstützen, z.B. indem wir einer jungen Ghanaerin im Rahmen des "Ausbildungsförderprogramms" eine Ausbildung zur Schneiderin ermöglichen. Natürlich könnte man allein die Tatsache kritisieren, dass eine europäische Organisation, wie dieser Förderverein, überhaupt in einem afrikanischen Land Dinge finanziert und was eigentlich die beteiligten Menschen dadurch lernen sollen. Man sollte dann jedoch auch berücksichtigen, dass das Geld in der Welt derzeit einfach nicht gerecht verteilt ist und dass die finanzielle Unterstützung durch den Förderverein an grundsätzliche Bedingungen geknüpft ist (nämlich unsere Vereinssatzung).


Auch wenn ich in meinem Text nicht auf Details über das Leben in Ghana oder meine Erlebnisse während der Freiwilligendienste eingegangen bin, so hoffe ich, dass er vielleicht dennoch hilfreich bei der Entscheidung ist, selbst einen Freiwilligendienst zu wagen. Ich kann dies aus den oben genannten Gründen nur empfehlen, denn ich kann mir nur wenige Dinge vorstellen, die einen so sehr verändern, wie das bewusste Eintauchen in diese "andere Welt".



Vielen Dank! Meda wo ase!



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Zuletzt geändert am 10.09.2016